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Matthias Thönnissen: „Verschwörungsanhänger denken wie Fundamentalisten“

In der ZDF Mediathek ist ab heute „Schlafschafe“ zu sehen. Eine Serie über die Mutter Melanie, die sich kritisch über das Tragen von Corona-Masken äußert. Über das spannende Projekt sprach Quotenmeter mit Matthias Thönnissen (Autor und Regisseur), Zarah Schrade (Autorin) und Philipp Schall (Produzent).

In Ihrer Drama-Serie «Schlafschafe» äußert sich Melanie (verkörpert durch Lisa Bitter) kritisch über das Tragen von Masken. Ist es nicht auch ein Symptom unserer Zeit, dass man aufgrund von Meinung von der Gesellschaft ausgegrenzt wird?

Matthias Thönnissen: Ich weiß nicht, ob das ein Symptom unserer Zeit ist. Ich denke eher, dass es in einer Gesellschaft oft eine Mehrheits-Meinung und eine Opposition gibt. Neu an unserer Zeit sind die sozialen Medien und die bringen die seltsamsten Effekte mit sich. Das Maskenthema und die Diskussion dazu sind ein tolles Fallbeispiel und das haben wir natürlich für unsere Erzählung genutzt.

Zarah Schrade: Ich denke, dass unsere Gesellschaft gerade freier denn je ist, was gepaart mit den Möglichkeiten des Internets dazu führt, dass heute deutlich mehr Menschen sehr viel lauter ihre Meinung kundtun als in vergangenen Zeiten. Generell halte ich das für eine positive Entwicklung, aber vielleicht müssen wir wieder mehr lernen andere Meinungen auszuhalten und in den Dialog zu treten.

In der derzeitigen Corona-Pandemie entwickelt sich die Gesellschaft weiter. Fast alle Menschen befolgen die Corona-Verordnungen, obwohl manche skurril sind. In Bayern durfte man noch im Winter nach 21 Uhr nicht die Wohnung verlassen. Auf der anderen Seite haben wir natürlich die Corona-Leugner und die, die der Politik uneingeschränkt folgen. Kann man die Gesellschaft noch in Schubladen stecken oder ist das Thema inzwischen viel zu komplex?

Matthias Thönnissen: Was alle gleich erlebt haben: ein Hin und Her der Anweisungen und Regelungen. Ein Schwanken zwischen übervorsichtig und risikofreudig. Aber: Jeder hat eine andere Schmerzgrenze, jeder geht anders mit Autorität um, jeder ist in einer völlig anderen Lebenssituation.

Zarah Schrade: Die Situation einer weltweiten Pandemie hat ja noch keiner von uns erlebt, daher konnte es zunächst tatsächlich keine Schubladen geben. Um so erstaunlicher finde ich es, wie schnell und starr sich die unterschiedlichen Lager formiert haben, obwohl wir immer noch täglich dazu lernen, mit was für einem Virus wir es zu tun haben.

Corona-Leugner erkennt man sehr oft an der Sprache. Einige Menschen wie bei Demos nutzen einen Jargon aus der Zeit der Nationalsozialisten (wie schon die AfD). Können Sie sich vorstellen, wieso?

Matthias Thönnissen: Da hab ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken dazu gemacht. Ich sehe Menschen, die sich als Minderheit fühlen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Vielleicht ist da der Grund zu finden.

Zarah Schrade: Mich macht es vor allem stutzig, wie sehr unter Corona-Leugnern die Grenzen zwischen rechts und links verschwimmen. Der Zweifel und die Kritik am System eint diese heterogene Gruppe anscheinend mehr als ihre Weltanschauung. Sorge macht es mir, wenn die Verunsicherung in der Gesellschaft für politische Zwecke instrumentalisiert werden.

Die sechsteilige Drama-Serie «Schlafschafe» zeigt den Kampf zwischen „normalen“ Menschen und den Verschwörungstheoretikern. Können Sie noch ein bisschen mehr auf die Story eingehen?

Matthias Thönnissen: Anhänger von Verschwörungserzählungen denken in gewisser Weise wie Fundamentalisten. Da gibt es irgendwann keinerlei Diskussions-Möglichkeiten mehr. Entweder du bist dabei oder du bist der Gegner. Was passiert dann mit einer Partnerschaft? Das hat uns interessiert. Was kann man aushalten und was nicht? Wieviel Verständnis kann man aufbringen, für die Emotionen, die hinter so einer Verschwörungserzählung stecken? Ist es nicht oft Sorge und Angst? Und was kann man gegen Sorge haben? Dabei kommt man irgendwann zu diesem Gedanken: Verschwörungstheorien fallen nicht vom Himmel. Sie werden von Menschen gemacht. Und dann von Menschen verbreitet und geglaubt.

Zarah Schrade: Uns war es wichtig Melanie eben nicht als “unnormalen” Mensch darzustellen, sondern als liebende Mutter in der Zweifel gesät wurden, die aufgrund anderer Unzufriedenheiten auf fruchtbaren Boden fielen. Ich sehe die beiden Ehepartner weniger gegeneinander, als vielmehr um einander kämpfen. Beide haben eine klare Vorstellung, wie sie ihre Ehe und vor allem ihren Sohn retten können, doch genau das zerstört letztendlich ihre Familie.

In der Vergangenheit haben Unterhaltungsformate mit Corona-Bezug nicht funktioniert. Ist das eher dann ein Projekt für den öffentlich-rechtlichen Auftrag und die Mediathek oder glauben Sie, dass damit Quote gemacht wird?

Matthias Thönnissen: In unserer Serie geht es nur am Rande um Corona. Die Pandemie erhöht nur den Druck auf die Familie, lässt neue Angst entstehen und neue Sorgen. In Wirklichkeit geht es um die seltsame Art von Orientierung, die Verschwörungserzählungen für viele Menschen bieten. Diese Geschichten sind ja für viele Menschen tatsächlich der reine Trost. “Ich habe das durchschaut und damit gehöre ich zu den Besonderen.” Diesen Aspekt nachvollziehbar zu machen, das ist ein Ziel unserer Serie.

Zarah Schrade: Seit je her verarbeiten Menschen Erlebtes indem sie Geschichten darüber erzählen. Und wir alle leben seit über einem Jahr in einer Extremsituation, da wäre es doch fatal, dies nicht auch in Unterhaltungsformaten zu thematisieren, aus Angst, damit keine Quote zu machen.

Philipp Schall: ich bin davon überzeugt, dass diese Produktion unabhängig von konventionellen Quotenerwartungen eine große Relevanz hat. Wir werden sehr bald sehen, wie die «Schlafschafe» vom Publikum angenommen werden; sowohl bei den Abrufzahlen als auch in den nachlaufenden Diskussionen.

Das Projekt ist ziemlich ehrgeizig. Im Februar 2021 starteten die Dreharbeiten, die noch im selben Monat abgeschlossen wurden. Die Ausstrahlung erfolgt nun im Mai. Wie konnte man diesen ehrgeizigen Plan umsetzen?

Matthias Thönnissen: Ich staune auch immer noch, ehrlich gesagt. Wir hatten sehr viel Glück mit einem super-motivierten und leidensfähigen Team und unglaublich motivierten und verlässlichen Darstellern. Anders wäre es nicht gegangen.

Philipp Schall: Die einzigartigen Konventionen des sogenannten „Instant Fiction“-Format erlauben es, in einer fiktionalen Handlung möglichst zeitnah auf aktuelle Geschehnisse einzugehen. Das bringt zwar zum üblichen Budgetdruck zusätzlich einen noch schärferen Termindruck mit sich, eröffnet aber durch die Aktualität auch ganz neue Möglichkeiten für Serial Storytelling – insbesondere für das Mediathek-Publikum.

Das vollständige Interview können Sie bei Quotenmeter nachlesen.

 

Quelle: quotenmeter.de