Interview mit Christian Schiffer über Verschwörungstheorien

Christian Schiffer, Politologe und Mitautor des Buches „Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien“, wirkte als beratender Experte bei der ZDFneo-Serie „Schlafschafe“ mit.

Gegenwärtig ist viel von Verschwörungstheorien die Rede. Was genau muss man sich unter diesen Theorien vorstellen? Gibt es in Ihren Augen so etwas wie den Klassiker der Verschwörungstheorien – und warum ist dieser so „erfolgreich“?

Nun, bei Verschwörungstheorien geht es immer darum, dass ein negatives Ereignis oder ein negativer Zustand durch das Wirken von Einzelpersonen oder Gruppen erklärt wird, die im Geheimen die Fäden ziehen sollen. Leider ist vermutlich der größte „Klassiker“ auf diesem Gebiet die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung, die letztlich in der Shoa und der Vernichtung der europäischen Juden mündete. Das ist ein Verschwörungsmythos, der leider immer noch anzutreffen ist. Die Welt ist ja kompliziert und sie wird immer komplizierter, und Populisten sind darauf angewiesen, für komplexe oder gar abstrakte Sachverhalte Schuldige zu finden. Und Verschwörungstheorien liefern immer Schuldige, auf die man dann mit dem Finger zeigen kann: Microsoft-Gründer Bill Gates hat Corona über uns gebracht, um dank Covid19-Impfungen noch reicher zu werden, die Kondensstreifen am Himmel sind keine Kondensstreifen, sondern sogenannte „Chemtrails“, die von den sogenannten „Eliten“ versprüht werden, und die Juden kontrollieren Medien und Wirtschaft. Das alles sind Methoden, um Komplexität zu reduzieren, und hier zeigt sich dann auch das antiemanzipatorische Potenzial von Verschwörungstheorien und was sie so gefährlich macht. Im Fall der jüdischen Weltverschwörung spielen dann natürlich auch Jahrhunderte alte Vorurteile eine Rolle.

Warum lohnt es sich Ihrer Meinung nach, sich mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen? Gibt man ihnen so nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig? Läuft man am Ende nicht Gefahr, an solche Theorien irgendwann selbst zu glauben?

Ich glaube, dass man sich viel zu wenig mit Verschwörungstheorien beschäftigt. Ich habe beispielsweise schon 2015 vor der Gefahr gewarnt, die von sogenannten „Reichsbürgern“ ausgeht, damals hat man das Thema noch nicht ernst genommen. Das ist erst passiert, nachdem in Georgensgmünd ein junger Polizist ermordet worden ist. Verschwörungstheorien spielten auch bei dem Massaker in Christchurch oder bei dem Anschlag von Halle eine große Rolle. Bei all diesen Morden wähnten sich die Täter in einem „Widerstand“ gegen die mächtigen Verschwörer. Im „Widerstand“ erscheint dann jedes Mittel gerechtfertigt, auch Gewalt. Das macht Verschwörungstheorien so gefährlich. Das Thema hat zwar mittlerweile sehr viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, insbesondere während Corona, aber eigentlich müsste noch mehr passieren. Es gibt zum Beispiel kaum Stellen, an die sich Angehörige wenden können, wenn sie das Gefühl haben, in eine Verschwörungswelt abzugleiten.

Die Entstehung Ihres Buches in den Jahren 2016-2018 charakterisieren Sie und Ihr Mitautor Christian Alt als eine Reise in ein eher unbekanntes Land. Wie erleben Sie das heute? Immer noch Terra incognita? Fühlen Sie sich im Rückblick manchmal wie der berühmte einsame Rufer in der Wüste?

Damals war das sicher so. Dabei war ja eine Motivation damals auch das Buch zu schreiben, die Wahl von Donald Trump. Viele erinnern sich nicht mehr daran, aber der politische Aufstieg von Donald Trump gründet sich maßgeblich auf einer Verschwörungstheorie. Er war damals ja führender Kopf der „Birther“, derjenigen also, die behaupteten, Barack Obama sei in Wirklichkeit gar kein Amerikaner. Damals fand man das noch irgendwie kurios. Wenn heute aber ein durch Verschwörungserzählungen aufgestachelter Mob das Kapitol stürmt, da lacht niemand mehr.

Was beim Lesen auffällt: Viele Verschwörungstheoretiker und Verschwörungstheoretikerinnen haben im Kern eine radikal skeptische Grundhaltung, wollen hinter die Dinge schauen und besser verstehen – eigentlich Eigenschaften, die man mit wissenschaftlicher Objektivität und Forschungsinteresse verbindet. Trotzdem werden von den Anhängern ausgerechnet vernünftige, wissenschaftlichen Erkenntnisse als Erklärungen für Ereignisse und Phänomene geleugnet. Das ist doch ein Paradoxon, oder?

Ja, Verschwörungstheoretiker sind da einfach nicht besonders konsequent: Einerseits begegnen sie Wissenschaftlern und Journalisten mit einer radikalen Skepsis, und zugleich hängen sie einem fast schon naiven Kinderglauben an, wenn es um die eigenen Theorien geht. Ein Schlafschaf ist eben immer der andere.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Anteil des Internets an der Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien?

Das ist schwer zu sagen. Vieles wird durch das Internet ja einfach auch nur sichtbarer, ohne dass es wirklich zugenommen haben muss. Aber natürlich haben Medienrevolutionen auch immer dazu geführt, dass sich Verschwörungstheorien oder ähnliche Phänomene verbreitet haben. Auch der Buchdruck führte dazu, dass plötzlich beispielsweise Pamphlete wie der „Hexenhammer“ kursierten. Man darf aber auch nicht vergessen, dass das Internet dazu beitragen kann, bestimmte Verschwörungstheorien zu widerlegen. Im Internet ist die Wahrheit nicht irgendwo da draußen, sondern meist nur einen Klick weit entfernt.

Was kann man für sich selbst tun, was eventuell für andere, um sich vor Verschwörungstheorien zu schützen? Gibt es Goldene Regeln, die man beachten sollte?

Das ist sehr schwierig. Der Verschwörungsglaube ist ja eine sehr tief sitzende Ideologie, die man nicht einfach mal durch gutes Zureden zum Verschwinden bringt. Oft ist das eher wie in einer Sekte und der Prozess, dort wieder herauszukommen, ist langwierig. Tendenziell würde ich es aber eher über Emotionen versuchen als über Fakten. Viele Menschen, die sich hilflos fühlen und ein Gefühl von wenig „Selbstwirksamkeit“ haben, wie das die Psychologen nennen, sind besonders empfänglich für Erzählungen, die ihnen eine Erklärung für ihre Situation anbieten. Das Problem dabei: Der Glaube an Verschwörungstheorien ist nur eine Pseudolösung, er führt zu noch mehr Wut, Angst und Hilflosigkeit. Denn gegen die finsteren Mächte, die alles und jeden kontrollieren, kann man eben nichts ausrichten. Da kann es helfen, zu versuchen, den Menschen klar zu machen, dass sie ihr eigenes Schicksal in der Hand haben.

Die Fragen stellte Dr. Stephan Mokry von der Domberg-Akademie.

Quelle: ZDF.de

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